Der Glockenstuhl der Dorfkirche Pessin befindet sich unter dem 1488 erbauten Spitzdach des Westquerturms der ältesten Kirche des Westhavellandes. Er ist gebaut für 3 Glocken, tatsächlich ist noch eine vorhanden. Nach Sichtung durch einen Fachmann im Herbst 2018 ist es die mittlere Glocke mit ca. 90 cm Durchmesser, eines 3er Geläutes. Sie hängt jedoch nicht mittig, sondern am nördlichen Rand des Glockenstuhls. Andreas Kitschke ging in seinem Buch "Die Kirchen des Havellandes" fälschlicherweise davon aus, dass die kleinste Glocke mit einem Durchmesser von 70 cm noch vorhanden ist; jedoch scheint dies die Größenverhältnisse zu bestätigen. Auch wenn die vorhandene Glocke nicht im mittleren Glockenstuhl hängt. Zu allem Überfluss ist sie nicht fachmännisch aufgehängt.
In der Pessiner Ortschronik lesen wir u.a., dass 2 Glocken 1867 in Berlin vom Zehlendorfer Gießer Gustav Gollier gegossen wurden. Die Dritte jedoch war älter - vermutlich um 1300 und ihre Herkunft ist unbekannt. Im Thieme-Becker: „Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart“ ist jedoch zu lesen, dass ein Jost Bodecker - Kunstschmied und Glockengießer aus Warburg - im Jahre 1599 Glocken nach Pessin und Retzow lieferte. Sie war verziert und mit einer umfangreichen Inschrift versehen (Kreil: Amtsbereich Friesack - Streifzüge durch Ländchen und Luch - auf Seite 141 und 142) Der noch heute vollständig erhaltene, jedoch leere Glockenstuhl sowie ein verbliebener Klöppel waren die letzten Zeugnisse vom ursprünglichen Läutwerk der Kirche.
Die Idee war, das Geläut mit den beiden fehlenden Glocken zu ergänzen und die Vorhandene wieder an einem Joch zu befestigen. Nun begaben wir auf der Suche nach einem Ankauf gebrauchter Glocken oder deren Übernahme aus einer entwidmeten Kirche. Auch ist zu prüfen, ob der Glockenstuhl noch ausreichend stabil ist.
Zunächst entdeckten wir im brandenburgischen Lauchhammer eine bereits gegossene Glocke, die aufgrund des Grundtones in Verbindung mit der Hertz-Zahl klanglich mit der vorhandenen Bronzeglocke harmonierte. Es war die vorletzte in Brandenburg gegossene Glocke, die traditionsreiche Kunstgießerei Lauchhammer (gegr. 1875) stellte den Glockenguss kurz darauf ein. Die im Jahre 2016 von Andreas York und Jürgen Genzel unter der Bezeichnung L18 gegossene Bronzeglocke hat einen Durchmesser von 80 cm, ein Gewicht von 220 kg ohne Klöppel und den Richtton Des. Ihre Inschrift lautet: „Meine Zeit steht in Deinen Händen“ ( Psalm 31, Vers 16). Wir konnten diese Ende 2018 zu einem günstigen Preis erwerben und unser Verein sorgte für den Transport von Lauchhammer nach Pessin. Die Neuanschaffung wurde zunächst unter der Nordempore der Kirche eingelagert. Dort musste sie aber nicht allzu lange warten, bis zur endgültigen Positionierung im Glockenstuhl (mehr).
Nach Einbindung des Glockengutachters konnte festgestellt werden, dass es sich bei der vorhandenen Bronzeglocke (Richtton b, Gewicht rund 550 kg, Durchmesser 94 cm) mit hoher Wahrscheinlichkeit um die oben beschriebene Glocke des Kunstschmiedes Jost Bodecker handelt. Allerdings war sie an einer Metallkonstruktion aufgehängt, wie nach den Kriegsjahren durchaus üblich. Der gerissene (und wie später befundet auch teilweise fehlende) Kronbügel könnte aber auch eine Ursache dafür gewesen sein. Dem mittelalterlichen Werk waren buchstäblich zwei Zacken aus der Krone gebrochen. Denkbar ist somit auch, dass Zacken heraus gebrochen wurden, um diese vereinfachte Aufhängung zu ermöglichen. Für einen vollendeten Glockenschlag empfahl der Gutachter für die vorhandene Glocke die Aufhängung an einem Holzjoch, sowie die Einhausung der Glockenstube. In den beiden noch freien Glockenstühlen sind die ursprünglichen Holzjoche noch vorhanden, so dass uns die Entscheidung für die historische Variante leicht fiel. Bei der statischen Prüfung durch das Ingenieurbüro Kern aus Brandenburg/Havel wurde die selbst tragende Konstruktion ausgiebig begutachtet, die den gesamten Glockenstuhl in Form eines „Fachwerkbaus“ innerhalb des Kirchturmes trägt. Damit konnte man erreichen, dass die enormen Fliehkräfte aus der Schwingung der Glocken nicht auf das Mauerwerk übertragen wird. Im Bereich des Fachwerks erhielt der Zimmermann Döring aus Vietznitz den Auftrag, einige Verbindungen nachzuarbeiten oder wieder herzustellen. Aber im Wesentlichen gilt die aus dem 15. Jahrhundert stammende Eichenbalkenkonstruktion als gut erhalten.
Im Herbst 2019 wurde die historische Bronzeglocke durch die Fa. Walter Glockenläuteanlagen KG aus Luckau vorsichtig innerhalb des Kirchturms herabgelassen und abtransportiert. Der Weg aus dem Inneren des Turms nach außen war Millimeterarbeit (mehr). Sie wurde im Schweißwerk Royal Eijsbouts, Asten (Niederlande) repariert. Anfang des Jahres 2020 war es dann so weit: Die historische Glocke kehrte nach Pessin zurück. Sie wurde an gleicher Stelle mit neu geschmiedetem Klöppel und einem neuen Holzjoch wieder aufgehäng.. Im zweiten Akt wurde die neu erworbene Bronzeglocke in dem mittleren der drei Glockenstühle aufgehängt, auch hierfür wurde zuvor ein Klöppel geschmiedet und ein Holzjoch angefertigt. Die vorhandenen Teile konnten jeweils nicht mehr verwendet werden und bleiben als Andenken im Kirchturm erhalten. Auch die neue Glocke erhielt ein elektrischen Antrieb.
Die südliche und eindeutig größte Glockenstube bleibt zunächst frei. An dieser Stelle hing eine Glocke mit einem Durchmesser von 110 cm und einem Gewicht von 860 kg; sie wurde 1942 abgehängt (Archiv des Konsistoriums 1975, Michler). Zum einen gab es dafür im Projektzeitraum kein geeignetes Angebot von gebrauchten Bronzeglocken, zum anderen empfahl uns der Gutachter, zunächst den Klang der beiden Glocken nach deren endgültigem Einbau abzuwarten. Für einen Dreiklang eignen würde sich z.B. eine Glocke mit dem Richtton Ges.
Im Laufe des Jahres 2020 wurde die Glockenstube eingehaust. Die vorhandene stets wackelige Leiter aus Aluminium als Zugang wurde ersetzt durch die historische Treppe, die bis 2016 im unteren Turmbereich eingebaut und damals der Toilettenanlage weichen musste. Die Glockenstube hat jetzt wieder eine Decke und einen Fußboden aus Holzdielen. Zuvor stand der Glockenstuhl jahrelang in der innen vollständig offenen Kirchturmspitze, weil man in den 1990er Jahren „nur“ das äußere Balkentragwerk repariert und das Dach neu eingedeckt hatte. So manchem soll beim Auf- und vor allem Abstieg daher schwindelig geworden sein. Das dürfte jetzt der Vergangenheit angehören. Oberhalb der Glockenstube hat man unverändert die größte Fernsicht nach Süden und Norden. Unterhalb der Glockenstube entstand ein abgeschlossener Raum, der künftig als Heimatstube genutzt werden könnte. Bisher stand dort nur das mechanische Uhr- und Glockenschlagwerk, welches zurzeit in Hakenberg (Ostprignitz-Ruppin) restauriert wird und künftig dort wieder Einzug halten soll (mehr).
Das Ergebnis des Projekts konnte sich sehen lassen: die Pessiner waren voll des Lobes ob der gelungen Wiederkehr der Glocke allgemein und des mächtigen Geläutes im Besonderen. Inzwischen dringt der Glockenklang auch in weiter entfernte Wohngebiete des Dorfes und ein Bewohner formulierte es so: Es klingt wie die Kirche in einem bayrischen Kurort. Die evangelische Kirchengemeinde änderte die Läuteordnung. Die historische Glocke erklingt nur noch bei Todesfällen allein, ansonsten ist „volles Geläut“ angesagt.
Das Projekt wird bisher unterstützt von
und vielen weiteren Einzelspendern. Herzlichen Dank!
Für eine weitere Glocke wäre noch Platz! Wir machen daher weiter!