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Märkische Allgemeine - 15.05.2010

Die Kirche im Dorf lassen

Sanierung Der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg besteht seit 20 Jahren
Kurz vor dem Ende der DDR drohten im heutigen Brandenburg 200 Kirchen einzustürzen. Mittlerweile ist etwa die Hälfte aller 1400 Gotteshäuser saniert .

Von Martin Stefke

POTSDAM Vielleicht hätte man die Glocken läuten sollen, nicht nur in Potsdam, sondern überall im Land. Letzte Woche feierte der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg seinen 20. Geburtstag mit einem Festakt in der Potsdamer Friedenskirche. Man hielt Rückschau auf 20 erfolgreiche Jahre, wagte auch einen Ausblick und prostete sich mit einem Glas Sekt zu.
Doch im Verhältnis zur geleisteten Arbeit war es wohl ein bescheidenes Fest. Denn seit der Gründung haben die 500 Mitglieder der kleinen Gemeinschaft aus Denkmalpflegern, Architekten, Restauratoren, Pfarrern oder einfach nur kunst- und kircheninteressierten Bürgern, denen der Erhalt der Gotteshäuser am Herzen liegt, Gewaltiges vollbracht. Als sich am 3. Mai 1990 in Berlin 35 Menschen aus Ost und West zur Gründungsversammlung trafen, sah es um so manches Gotteshaus gar nicht gut aus. Der Zustand war oft äußerst desolat. „Damals“, erinnert sich Bernd Janowski, von Anfang an dabei und seit zehn Jahren Geschäftsführer des Förderkreises, „waren 200 Kirchen akut vom Einsturz bedroht“. Das habe nicht allein an der mangelnden Baupflege zu DDR-Zeiten gelegen. „Erster Weltkrieg, Inflation, das Dritte Reich“, so zählt der 53-Jährige in seinem kleinen Hinterhofbüro in der Großen Hamburger Straße in Berlin die Krisenzeiten auf: „Die letzte Generalüberholung lag 1990 in der Regel mehr als 80 Jahre zurück. Das macht sich dann bemerkbar.“
Die atheistische, ja oft kirchenfeindliche Politik der DDR-Oberen und die Säkularisierung der Bevölkerung taten ein Übriges. Nach der Entmachtung der SED ging es daher zunächst um eine ehrliche Bestandsaufnahme. Der folgten bald reale Aufbau- und stete Lobbyarbeit. Inzwischen konnten gut 700 der brandenburgischen Kirchen saniert werden. Dächer, Fassaden und Fenster wurden erneuert, Fundamente trockengelegt, Heizungen eingebaut, Kirchtürme repariert, Gestühl, Altäre und Orgeln restauriert. Es sind dies Erfolge, die Janowski keineswegs nur für den Förderkreis verbucht, die ihn aber bilanzieren lassen: „Es ist so viel passiert, das hätten wir uns damals nicht träumen lassen.“
Mit Hilfe von Partnern wie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Robert-Bosch-Stiftung, dem Bauamt der Landeskirche, dem Bund und seiner Kulturstiftung, dem Land, aber auch den Gemeinden, den Pfarrerinnen und Pfarrern sowie – nicht zuletzt – unzähligen Helfern vor Ort wurden die Probleme gemeistert. Der Förderkreis wurde immer mehr zu einem Dachverband der Förderer von Einzelkirchen.
Eine Brandenburg-Karte in Janowskis Büro verdeutlicht das. 260 Fähnchen stecken in den Städten und Dörfern des Landes. Eine Zahl, die von Jahr zu Jahr wächst. Auch, weil der Verein nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ arbeitet. Neben der Beratung in Bau- und Organisationsfragen werden per Anno fünf mal 2500 Euro als Anschubfinanzierung für neu gegründete Kirchenfördervereine geboten. Nicht viel, könnte man meinen. Doch bei 200 000 Euro Jahres-Etat, der sich allein aus Beiträgen und Spenden speist – ein gutes Drittel wird für Baumaßnahmen ausgeschüttet – ein ernstzunehmender Posten, der oft die Arbeit vor Ort ermöglicht oder zum ersten Baustein für die Finanzierung eines größeren Sanierungsvorhabens wird. Denn Letztere auf solide Beine zu stellen, wurde durch die Streichung von Förderprogrammen immer komplizierter. „Manchmal haben wir jetzt zehn bis zwölf Förderer“, weiß Janowski. Da muss jede Menge kommuniziert, beraten und koordiniert werden. Kein Grund zum Klagen. Optimistisch blickt Janowski in die Zukunft: „Überflüssig wird unser Verein in den nächsten zehn Jahren sicher nicht.“
Doch die Aufgaben ändern sich. „Das Problem ist nicht mehr, dass uns die Kirchen, wie 1990 befürchtet, einstürzen. Wir müssen fragen: Wer geht da in zehn oder 20 Jahren noch rein?“ Schon die Vereinsgründer wussten, auch wenn sie das Ausmaß der Bevölkerungsentwicklung und Abwanderung nicht vorhersahen, um dieses Problem. Nach den Zielen „Retten“ und „Erhalten“ schrieben sie daher das „Nutzen“ in die Satzung. Hier sieht Janowski künftig ein wichtiges Arbeitsfeld und setzt dabei auf die regionalen Fördervereine. Denn da, wo die Menschen ihre Kirche nicht nur als Raum für den Gottesdienst, sondern auch als Platz für ein soziales Miteinander begreifen, sollte die Zukunft gesichert sein. Der Geschäftsführer nennt Stichworte wie Theateraufführungen, Konzerte und Ausstellungen. Auch der Tourismus sei nicht zu vernachlässigen. Heute kommen – auch wegen der Aktion „Offene Kirchen“, die der Förderkreis vor zehn Jahren startete und an der in dieser Saison sage und schreibe 890 Kirchen teilnehmen – Besucher aus der ganzen Bundesrepublik.
„Unserer Kapital ist nicht das Geld, sondern es sind die Menschen vor Ort“, bestätigt Arnulf Kraft. Der pensionierte Pfarrer aus Berlin-Spandau kümmert sich seit Jahren mit Leidenschaft als Regionalbevollmächtigter ehrenamtlich um das Havelland. Kraft kann Beispiele für gelungene Sanierungen, erfolgreiche Vereinsgründungen und das Engagement in Gemeinden zeigen, so in Selbelang und Pessin, Dörfern an der Bundesstraße 5, in denen nicht gerade das pulsierende Leben herrscht. In Selbelang hat ein Förderverein die Kirche St. Nikolai ihrem Dornröschenschlaf im zugewachsenen Gutspark entrissen und das gotische Gebäude wieder zu einem echten Kleinod gemacht. Hier gibt es nicht nur eine sehenswerte Innenausstattung mit barockem Kanzelaltar und gotischen Schnitzfiguren zu bewundern. Am Gebäude wird geradezu symbolhaft anschaulich, wie die Religion in DDR-Zeiten an den Rand gedrängt wurde. Bis auf 1,50 Meter rückte die Konsum-Verkaufsstelle mit Rauputz, Riemchen und Flachdach dem Kirchlein auf die gotische Backsteinpelle. Wenn der Anblick nicht so scheußlich wäre, müsste man dieses so gegensätzliche Ensemble der Nachwelt erhalten, weil es so bildhaft vom Stellenwert der Kirche in der DDR erzählt. Einen Besuch ist St. Nikolai jedenfalls unbedingt wieder wert.
An der allein schon durch seine Größe imposanten Dorfkirche im wenige Kilometer nordwestlich gelegenen 680-Seelen-Dorf Pessin ist noch weit mehr zu tun. Hier wurde im Januar ein Förderverein gegründet, der helfen will, das Kirchengebäude, das in seiner heutigen Form 1739 durch einen von der Patronatsfamilie von Knoblauch finanzierten An- und Umbau entstand, zu erhalten. Zwar wurde bereits Mitte der 90er Jahre das Dach saniert, doch im Innern zeigen sich noch immer die Spuren des Krieges. Außen bröckelt der Putz. Christel Kabot, Kirchenälteste und Ortschronistin, kann von der Verwüstung erzählen, von Orgelpfeifen, die man in der nahen Kiesgrube fand, und den Engeln aus Gips, die sie selbst gerettet hat. Jeden Sonntagnachmittag schließt die Christin „ihre“ Kirche auf. In der Woche kümmert sie sich so liebevoll um das Gotteshaus, dass ihre Kinder sagen: „Du kannst ja gleich dein Bett mitnehmen.“ – „Hört mal zu“, kontert die rüstige Rentnerin dann. „Da habe ich wenigstens was zu tun und außerdem: Man darf ein solches Gebäude doch nicht verkommen lassen.“
Wie sehr sie damit Bernd Janowski aus dem Herzen spricht, weiß sie sicher nicht. Der Geschäftsführer aber setzt mit vollem Recht auf Menschen wie Christel Kabot. Auf Menschen, die wollen, dass ihre Kirche weiter dort bleibt, wo sie hingehört – nämlich ins Dorf.

Quelle: Märkische Allgemeine, Hauptteil, 15.05.2010

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